Evangelische Kantorei Aachen Süd-West sang im Straßburger Münster Chorreise ins Elsaß – Motettenkonzert in der lutherischen St.-Thomaskirche Straßburg – Kirchenmusikalische Ausgestaltung des Hochamts im Straßburger Münster – Besuch des Isenheimer Altars in Colmar – Das Töpferdorf Soufflenheim

In den Herbstferien 2015 startete die Evangelische Kantorei Aachen Süd-West unter Leitung von Kreiskantor Elmar Sauer ihre dritte Chorkonzertreise – im Gepäck die schwarzen Notenmappen mit Motetten aus drei Jahrhunderten, der Messe brevé in C des Franzosen Charles Gounod und natürlich mit Programmheften in deutscher und französischer Sprache.


Ein erster Blick auf Straßburg vom Wasser aus


Nach mehrstündiger Busfahrt erreichten die 53 Sängerinnen und Sänger die Europastadt Straßburg. Sie unternahmen sogleich eine Schiffsrundreise auf dem kleinen Fluss, der Ill, die den alten Stadtkern mit zwei Armen umschließt. So konnte die höchst interessante und vielseitige Stadt einen ersten Eindruck vom Wasser aus vermitteln. Gleich zu Beginn fiel der Blick auf die altehrwürdige protestantische St.-Thomaskirche, in der am nächsten Tag das Motettenkonzert „DA PACEM DOMINE“ stattfinden sollte. Der Ausflug auf der Ill ermöglichte – mehr als man von einer Sight-Seeing-Tour erwartet – einen wenn auch kurzen, so doch informativen Einblick in die wechselvolle französisch-deutsche Kulturgeschichte der elsässischen Metropole: rechter Hand die von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärte Altstadt mit ihren typischen französischen Mansarden- und deutschen Fachwerkhäusern, mit Patrizierpalästen und zahlreichen Kirchen, überragt vom Turm des Straßburger Münsters.
Am linken Ufer glitt das Schiff vorbei an stattlichen Gebäuden, die Museen, Eliteschulen, Gerichte, Nationaltheater und Oper sowie die Universität beherbergen. Im Norden warf man einen Blick auf das futuristisch gestaltete Europaviertel, um schließlich in der wilhelminisch geprägten Neustadt auf typisch deutsche Architektur zu stoßen. Am frühen Abend bezog die Kantorei dann – sehr passend – das Hotel „Jean-Sébastien-Bach“.

Generalprobe in St.- Thomas

Am nächsten Vormittag fand zunächst eine zweistündige Generalprobe in St.-Thomas statt. Danach lud der malerische Stadtteil „Petite France“ ganz in der Nähe zu einem Mittagsimbiss unter uralten Platanen ein. Der Rundgang durch die Altstadt begann in St.-Thomas / Église St.-Thomas, heute die zentrale protestantische Kathedrale im Elsaß. Sie soll der Chronik zufolge im 7. Jh. von Bischof Sankt Florentius gegründet und später vielfältig umgestaltet worden sein. Schon 1524 wurde hier evangelisch gepredigt. Der Stadtführer stellte einige Besonderheiten in den Mittelpunkt, z.B. die Silbermann-Orgel von 1741, errichtet von einem Sohn des berühmten Orgelbauers Andreas Silbermann und schon von Mozart zu Übungszwecken genutzt, wurde sie auch von Albert Schweitzer sehr geschätzt. Er verhinderte am Anfang des 20. Jhs. die Vernichtung des Instruments mit dem Hinweis auf Bachs Vorliebe für Silbermann-Orgeln. Seit 1909 findet – initiiert durch Schweitzer – alljährlich am 28. Juli, dem Todestag Bachs, ein Orgelkonzert statt. Die St.-Thomaskirche ist die einzige fünfschiffige Hallenkirche – zugleich die älteste und berühmteste, in welcher zahlreiche Gedenktafeln und Gräber an historische Ereignisse erinnern, z.B. an den Reformator Martin Bucer, der nicht nur im Elsaß die Reformation einführte, sondern sich auch um die protestantische Einheit in Europa bemühte.

 

Straßburger Münster

Auf dem Weg zum Straßburger Münster wurde auf interessante Details hingewiesen. So habe beispielsweise Gutenberg wegen seiner Schulden zehn Jahre nicht in Mainz, sondern in Straßburg gelebt und hier die bahnbrechende Neuerung, nämlich den Buchdruck mit beweglichen Lettern, erfunden.


Als offenbar schönstes elsässisches Fachwerkgebäude wird das Maison Kammerzell an der Place de la Cathédrale angesehen; es wurde im 15. Jh. mit steinernem Erdgeschoss und reich verzierten, vorkragenden Fachwerkgeschossen der Renaissance und 70 Fenstern gebaut. Heute bietet ein Meisterkoch in diesem Haus u.a. seine elsässische Spezialität „Sauerkraut mit Fisch“ an.


Wer die Rue Mercière betritt, bleibt überwältigt stehen; einige Mitglieder der Kantorei hielten möglicherweise für einen Moment noch dazu den Atem an bei dem Gedanken, am nächsten Tag in der vor ihnen steil aufragenden Marienkirche, dem Straßburger Münster, in der 11-Uhr-Messe als Kantorei singen zu dürfen. Die 142m hohe Kathedrale war bis ins 19.Jh. das höchste Gebäude der Erde, dessen Fundamentlegung vor 1000 Jahren gerade 2015 mit einer Fülle von sakral-kulturellen Veranstaltungen gefeiert wurde, wobei sicher auch des geschichtsträchtigen Baugrundes v o r 1015 gedacht wurde (heidnischer Kultplatz aus keltischer Zeit, Herkulestempel der Römer und vom vierten Jh. an christliche Kirchen).

 

Die riesige, über und über mit Steinmetzkunst verzierte gotische Maßwerkfassade mit dem trichterförmigen Südportal und der über- dimensionierten Fensterrose von 1318 sowie der wie ein Finger in den Himmel ragende einzige Turm locken jährlich über 5 Mio. Besucher in das Innere dieser Kathedrale.

Auf Grund ihrer Jahrhunderte langen Baugeschichte mit Einflüssen aus vielen Regionen Europas kann man in der Tat von einer europäischen Kathedrale sprechen. Die Choristen durchschritten – immer noch einigermaßen benommen und vielleicht ein wenig beklommen, aber natürlich auch höchst beeindruckt - das riesige Langschiff der spätromanisch, gotisch und im Dekor neubyzantinisch gestalteten Kirche bis hin zur weltberühmten astronomischen Uhr und zum Pfeiler des Jüngsten Gerichts.

Es wurde nun Zeit, die Besichtigungstour per Bus in Richtung Hotel „Jean-Sébastien-Bach“ fortzusetzen bzw. zu beenden, denn am Spätnachmittag startete das Motettenkonzert in St.Thomas.

Motettenkonzert in der Église St.-Thomas

Die Kantorei zog gegen 17 Uhr durch den Altarraum in die Vierung der St.-Thomaskirche ein und eröffnete - nach einer freundlichen zweisprachigen Begrüßung durch den Pfarrer mit Motetten von Rheinberger, Bruckner, Mendelssohn, Brahms und Herzogenberg den ersten Teil des Konzerts.

Prof. Daniel Maurer, der Kantor an St.-Thomas, brachte danach auf der schon beschriebenen Silbermann-Orgel sehr eindrucksvoll eine eigene Transkription des berühmten Konzerts für 4 Cembali von Bach („Concerto en la mineur“ BWV 1065) zu Gehör.

Im zweiten Teil des Chorkonzerts standen dann drei Motetten französischer Komponisten sowie „Peace“ des Norwegers Nystedt und zwei zeitgenössische Werke von Arvo Pärt und Frederik Sixten auf dem Programm. Die Friedensmotette des Esten Pärt „DA PACEM DOMINE“ verlieh dem Konzert den Titel. Die rudimentären Harmonien, die wie Glockenschläge die Bitte um Frieden ausdrücken, fielen zufällig zusammen mit dem Sonntag-Einläuten der Glocken von St.-Thomas, was überhaupt nicht als störend empfunden wurde. Lang anhaltender Applaus wurde mit zwei Zugaben beantwortet.

Evangelische Kantorei sang während des Hochamts im Straßburger Münster

Am Sonntagvormittag betrat die Kantorei erneut die Kathedrale. Herzlichst begrüßt und schon vor Beginn der Messe im Straßburger Münster als Protestanten zur katholischen Eucharistiefeier eingeladen, nahm die Kantorei im Chorgestühl zusammen mit den Geistlichen in der erhöhten Apsis des Münsters Platz, um dann mit dem Graduale „Locus iste“ von Bruckner und Teilen aus der Messe von Gounod die Messfeier kirchenmusikalisch mitzugestalten. Natürlich hatten die Sänger und Sängerinnen ihren Dirigenten vor Augen, aber auch das bis auf den letzten Platz besetzte riesige Münster und die wunderschöne  Glasrosette über dem Hauptportal, durch die die Sonne schien. Alle ließen sich – als Protestanten eher etwas nüchtern gestaltete Gottesdienste gewohnt - vom feierlichen Ritual des Hochamts, der Gesamtatmosphäre des besonderen Ortes und der überwältigenden Anzahl von Zuhörern gefangen nehmen, so dass dieser Gottesdienst wohl als ganz besonderes Ereignis in lebendiger Erinnerung bleiben wird. Es endete sehr weltlich mit einem großen Applaus der „unzähligen“ Hochamt-Besucher und mit herzlichen Dankesworten der Geistlichen, die sich auch über das Gastgeschenk (Aachener Printen) freuten.

Ausflug nach Colmar und zum Isenheimer Altar

Der Sonntagnachmittag konnte individuell gestaltet werden – in Straßburg oder in Colmar.
Während der Busfahrt zur südlichen Hauptstadt des Elsaß hörten und sahen die Colmar-Reisenden eine sehr differenzierte Einführung in das einmalige Kunstwerk des Isenheimer Altars durch ein sach- und fachkundiges Mitglied des Chores.

Wie Straßburg blickt auch Colmar auf eine Jahrhunderte lange Kulturgeschichte zurück, die uns andeutungsweise durch eine z.T. sehr vergnügliche, ausgedehnte Wanderung näher gebracht wurde. Colmar mit seinen gelblichen Sandstein-Häusern blieb jedoch im Gegensatz zu Straßburg (Rotsandstein) altelsässisch mit französischem, deutschem und auch schweizerischem Einfluss. Es würde zu weit führen, nun alle Highlights dieser architektonisch gut erhaltenen Stadt mit seinen eher schlichten Kirchen, aber schmucken historischen Bürger häusern zu nennen, die durch ihre malerischen Fronten viel über die Gesinnung der Erbauer aussagen.

Als Beispiel soll nur das eines Hutmachers aus dem 16. Jh., das Pfisterhaus, vorgestellt werden. Es weist zwar auch mittelalterliche Eigenheiten auf; mit seinem Eckerker über zwei Etagen, einer reich verzierten Galerie, einem Treppenturm mit schrägen Fenstern und einem Mauerband mit biblischen und weltlichen Szenen gilt es jedoch als Symbol für die architektonische Renaissance in Colmar. Der Weg führte über das Gerberviertel, das mit seinen hohen, gut erhaltenen Fachwerkhäusern und moderner Innenausstattung ein städtebaulich interessantes Konzept verrät, schließlich über das malerische Klein-Venedig, wo Fischer und Bauern ihre Ware früher direkt vom kleinen Fluss Lauch in die Markthalle anlieferten, und dann zurück zur Dominikanerkirche. In ihr werden sowohl Schongauers „Madonna im Rosenhag“ als auch (vorübergehend) der weltberühmte Isenheimer Altar von Mathias Grünewald ausgestellt.

Mathias Grünewalds Meisterwerk entstand um 1515 für das Antoniterkloster im nahen Isenheim, das sich der Pflege Schwerkranker verschrieben hatte. Man nimmt an, dass die am sogenannten Antoniusfeuer Leidenden, einer durch das Mutterkorn im Getreide der Armen ausgelöste, unheilbare Krankheit, zu Beginn ihrer Therapie vor den Altar geführt wurden. So konnten sie sich mit dem unschuldigen Leiden Jesu und mit der Versuchung des Heiligen Antonius identifizieren, um Trost, Hoffnung und Gnade zu erflehen. Auch die zu lindernden Salben verarbeiteten Heilpflanzen sind auf den Altartafeln zu erkennen. Neben dieser therapeutisch orientierten Deutung des außer-ordentlichen Kunstwerks ist der Altar natürlich theologisch wie kunsthistorisch höchst interessant. So laden die drei Tafeln mit ihren doppelt bemalten Klappseiten jährlich Tausende von Menschen aus aller Welt zum Verweilen, Meditieren und grenzenlosen Staunen ein. Der mit durchhängenden Armen ans gebogene Kreuz Geschlagene, mit seinen unzähligen Dornen und Wunden Geschundene verkörpert hier überdeutlich die oft zurückgedrängte Theologie des leidenden Menschen Jesus – anders als ein über den Tod triumphierender Christus. Kunsthistoriker fühlen sich bis heute aufgefordert, die unbeschreiblich expressionistische Darstellung von Personen, Gegenständen und der Gesamtkomposition sowie die symbolträchtige Farbgebung und die mystisch wirkende Atmosphäre – geschaffen von einem Maler im ausgehenden Mittelalter - zeitgemäß zu interpretieren.

Rückreise über Soufflenheim

Die obligatorische Busfahrerpause wurde mit einem Abstecher in das kleine, am Montagvormittag etwas verschlafen wirkende Töpferdorf Soufflenheim verbunden. Dort bieten 15 Töpferei-Werkstätten Gugelhupf-Formen, Terrinen und Schüsseln mit traditioneller farblicher Dekoration an, also lauter Gefäße für typisch elsässische Gerichte. Jede Firma pflegt ein eigenes Motiv, das mit Hilfe von Entenfedern auf die Grundglasur aufgebracht wird. Die Tonverarbeitung geht in dieser Gegend bis auf die Bronzezeit zurück. Als Besonderheit der Töpferkunst des Dorfes können auf dem Friedhof die Personen des Abendmahls von Leonardo da Vinci in Lebensgröße als Nachbildung in Ton besichtigt werden. Im Dorf Soufflenheim wie auch in Straßburg und Colmar fiel immer wieder die großzügige, farbenfrohe Ausgestaltung öffentlicher und privater Flächen mit üppig blühenden Gewächsen auf.

Am frühen Abend kehrten die Elsaß-Reisenden etwas müde, aber voll tiefer Eindrücke, die noch verarbeitet werden wollen und sicher lange in Erinnerung bleiben werden, nach Aachen zurück.