23.10.2023

Gut besuchte Nacht der offenen Kirchen

Die evangelischen Angebote stießen auf reges Interesse beim Publikum - So unterschiedlich wie die Gebäude waren auch die einzelnen Veranstaltungen

Ruhige Töne, hier mit dem Ensemble sine nomine, waren in der Annakirche zu hören. Foto: Andrea Thomas

Geistliche Vokalmusik in der Annakirche

Es herrscht andächtige Stille als die Stimmen des „Ensemble sine nomine“ sich erheben und den Raum der Annakirche mit Klang füllen. Es sind eher ruhige, getragene Stücke geistlicher Vokalmusik aus fünf Jahrhunderten, die die acht Musikerinnen und Musiker aus Aachen und Köln zur Nacht der offenen Kirchen darbieten. Als Titel für ihr Programm haben sie „…dann wird es werden wie ein Fest…“ gewählt, eine Zeile aus einem Gedicht von Rainer Maria Rilke, welches das Leben im Augenblick feiert. Doch, können wir da zurzeit einfach miteinstimmen? Wie können wir gemeinsam gut leben? Wie kann uns Glaube und Spiritualität dabei helfen? Fragen, die sich Komponisten quer durch die Jahrhunderte gestellt haben. Besinnlichere Töne steuert auch das zweite Ensemble des Abends „bei Anna“ bei, das Flötenquartett „arcadie quartett“.

Sie hätten sich bewusst für diese beiden ruhigeren, geistlichen Programme entschieden, erläutert Hausherr Pfarrer Armin Drack. „In diesen doppelten Kriegszeiten brauchen Menschen etwas, womit ihre aufgescheuchten Seelen zur Ruhe kommen, einen seelischen Zufluchtsraum.“ Mit der Resonanz ist er zufrieden, die Kirche ist bis auf wenige noch freie Plätze besetzt. Das sei nach Corona nicht immer zu erwarten. Mancher sei immer noch zögerlich, was größere Menschenmengen angehe. „Aber es tut Menschen auch gut, zusammenzukommen, zu sehen, wir können einander in diesen Zeiten stützen und stärken.“ Dazu trägt auch die Möglichkeit bei, im Annasaal an der Kirche bei Snacks und Getränken ins Gespräch zu kommen.

Konzerte zum Eintauchen in der Citykirche

Nacht der offenen Kirchen: In der ökumenischen Citykirche St. Nikolaus heißt das nur wenige leere Stühle und ein buntes musikalisches Programm, in diesem Jahr unter dem Titel „Konzerte zum Eintauchen“. Den Auftakt macht der Chor „Carmina mundi“, der zu einer musikalischen Zeitreise einlädt, mit dem Schwerpunkt auf geistlicher Musik. „Was gut in diese Zeit hineinpasst“, sagt Pfarrerin Sylvia Engels, gemeinsam mit ihrem katholische Kollegen Pfarrer Timotheus Eller Gastgeberin in St. Nikolaus. Es folgen das „Duo Tarantelle“ (Klavier und Violine) mit Tango, ungarischen Tänzen und Salonmusik sowie ein junges spanisches Duo mit spanisch-lateinamerikanischer Musik, mit Gitarre und Gesang. Den Abschluss bildet – ein Klassiker zur NOK in der Citykirche – die Klezmer-Band „Dance of Joy“, deren Musik angesichts der aktuellen Weltlage noch einmal eine neue Dimension bekommt. Für Sylvia Engels ist die Mischung des Abends aus besinnlich und heiter genau passend. „Musik tut uns gut und wir brauchen gerade seelische Stärkung.“

Spirituelle Tastings in der Friedenskirche

In Kooperation mit dem Gaumenfreuden-Geschäft "Pläsierchen" und dem Geschäft von Tee Gschwendner in Aachen hat sich Pfarrer Jan Lübking eine nur auf den ersten Blick ungewöhnliche Kombination für die Nacht der offenen Friedenskirche überlegt: Spirituelle Impulse und Gedanken wechseln sich an diesem Abend ab Weinproben pfälzischer Weine und einer kleinen Einführung in das Geheimnis des schwarzen Tees.

"Wir haben den Kirchenraum komplett umgestaltet, aus einer Abstellecke sogar eine gemütliche Lounge gemacht", erläutert Pfarrer Lübking. Die Idee wird gut angekommen, "wir freuen uns, dass auch aus anderen Bereichen des Aachener Nordens Gäste gekommen sind." Die Weiß- und Rotweine eines Pfälzer Winzers, die "Madame Mjam" alias Doris Koerfer aus Eilendorf vorstellt, werden ebenso gern probiert wie die verschiedenen Teesorten, die Teesommelier Alexander Dirrichs fachkundig präsentiert. Dass man sich aber trotzdem in einem Kirchenraum befindet, macht eine kurze Betrachtung des Psalm 23 ebenso deutlich wie das Angebot, auf dem Altar eine Kerze anzuzünden - für etwas oder jemanden, der einem gerade wichtig ist. Und zum Abschluss des Abends wird ein einhelliges Resümmee gezogen. Egal, ob in einer Kirchengemeinde, unter Weinfreunden oder Teeliebhabern: Es ist die Gemeinschaft und die gemeinsame Freude an einer Sache, die Menschen verbindet und durch diese Verbindung das Leben lebenswert macht.

Musik und Malerei in der Genezareth-Kirche

Drei ganz unterschiedliche Konzerte und eine Ausstellung boten in der Genezareth-Kirche eine breite Palette an kulturellen Impulsen, Raum für Gespräche und menschlichen Austausch. Mit der Auswahl der Interpreten des Abends holte die Evangelische Kirchengemeinde auch das aktuelle Weltgeschehen in den Kirchenraum: Als zweiter Chor des Abends beeindruckte der ukrainische Chor "Paragraph 24" (in Anlehnung an den entsprechenden Artikel des Gesetzes "über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet" zur "Aufenthaltsgewährung zum vorübergehenden Schutz"). Der Chor entstand auf Initiative des Vereins „Ukrainer in Aachen“, die Mitglieder des Chores sind Kriegsflüchtlinge aus verschiedenen Teilen der Ukraine und sehen sich als Gemeinschaft, die durch eine einzige Kultur und einen einzigen Wunsch nach Frieden vereint ist.

Eingerahmt wurde der Chor vom beschwingten Auftritt des Eschweiler Handglockenchores "Bells of Glory", der unter der Leitung von Monika Pfennigs sanfte und satte, ruhige und rhythmische Melodien erklingen ließ, und vom abschließenden Konzert des Gospelchores "Mustard Seed Faith" unter der Leitung von Matts Johan Leenders. Der mitreißende Chor, der
moderne, US-amerikanische und europäische Gospel in seiner vollen Bandbreite zelebrierte, hat schon zahlreiche Anhänger, und so war die Kirche zum Abschluss des Abends voll besetzt.

In den Pausen bestand Gelegenheit zum Gespräch bei Käse und Wein und zur Auseinandersetzung mit der Ausstellung "Plastic Ocean" der Künstlerin Annika Degen, die sich der größten Müllhade des Pazifischen Ozeans künstlerisch angenähert hat. Die Ausstellung ist noch bis zum 3. Dezember zu besichtigen.

Clemens Bittlinger begeisterte Zuhörer in der Immanuelkirche

Ein weiteres musikalisches Highlight der Nacht erwartete die Besucher in der Immanuelkirche: Der deutschlandweit bekannte Pfarrer und Liedermacher Clemens Bittlinger gab dort ein Konzert unter dem Motto "Öffnet den Kreis weit". Eines der Markenzeichen seiner Konzerte sei es, dass er gemeinsam mit dem Publikum singe, kündigte Bittlinger gleich zu Beginn an, und der Aufforderung folgten die Anwesenden gerne. Schon seit den 1980er Jahren hat Bittlinger sich als evangelischer Musiker und Liedermacher einen Namen gemacht. Besonders bekannt sind sein Lied "Aufstehn, aufeinander zugehn" und sein Album "Perlen des Glaubens". Zur Aachener Nacht der offenen Kirchen und in die Immanuelkirche hatte Sabine Klingelnberg den prominenten Gast eingeladen. "Ich kenne Clemens Bittlinger von der 'Nacht der Lieder' auf dem Kirchentag und habe ihn einfach angesprochen und gefragt, ob er zu uns kommen würde", sagte sie. "Da der Pfarrer der Immanuelkirche schwer erkrankt ist, braucht die Gemeinde etwas, das uns trägt und berührt in dieser schweren Zeit - und die Musik von Clemens Bittlinger schafft das."

"Haus für Familien" nimmt zum ersten Mal an der Nacht der offenen Kirchen teil

Bunt und lebhaft ging es am Freitagabend im "Haus für Familien", der evangelischen Familienbildungsstätte, zu. Viele Mütter warteten schon auf die Öffnung der Türen zum Angebot des "Kinderkleiderbusses", während in der Küche Linsensuppe und Brot vorbereitet wurden und eine Tanzgruppe aus kleinen Mädchen und bunt verkleideten Tierfiguren noch ihren Auftritt probte. Für die Kinder gab es unter anderem ein Schminkangebot und einen Basteltisch für Blättergesichter, später wurde afghanische Musik gespielt und der Abend endete mit einem christlich-muslimischen Gebet. "Wir sind zum ersten Mal bei der Nacht der offenen Kirchen dabei und freuen uns über die Gelegenheit, unsere Arbeit vorzustellen", sagte die Leiterin des Hauses für Familien, Karin Blankenagel. Unterstützt wurde sie von ihrem interkulturellen Team, das unter anderem Arabisch und Russisch spricht, sowie von vielen Ehrenamtlichen.

Die Idee zur ersten Teilnahme der Familienbildungsstätte an der Nacht der offenen Kirchen hatte Manfred Wussow, in der Evangelischen Kirchengemeinde Aachen Vorsitzender des Fachausschusses Diakonie. Der Kirchraum des "Martin-Luther-Hauses" sei noch original erhalten und werde von einer afrikanischen und einer koreanischen Gemeinde weiterhin genutzt, erklärte er. Als "Haus für Familien" liege hier nun aber ein diakonischer Schwerpunkt der Gemeindearbeit. "Es war mir ein großes Herzensanliegen, dass dieses Haus endlich auch einmal an der Nacht beteiligt ist und unsere Arbeit sichtbarer wird", sagte Wussow. Der Bedarf bei den Menschen sei sehr groß, pflichtete ihm Karin Blankenagel bei, nicht nur für Kinderkleidung oder Bildungsangebote: "Menschen, die traumatisiert sind von der Flucht und solche, die nirgendwo ein Zuhause haben, finden hier bei uns ein Zuhause."

Das Angebot des Hauses für Familien reicht von PEKiP-Kursen und Krabbelgruppen über Wald- und Bauernhof-Erlebnisse bis hin zu Computer- und Sprachkursen für Eltern. Besonders beliebt ist auch das Programm "Miteinander lernen", das Kinder mit Förderbedarf und Lehramtsstudierende mit großem Erfolg zusammenbringt.

Auferstehungskirche: Chor singt eigens für diesen Raum komponiertes Stück

"Wir erleben heute etwas, das es meines Wissens sehr selten gibt", kündigte Pfarrer Martin Obrikat den Abend in der Auferstehungskirche an. "Wir erleben heute modernen Tanz zu Live-Chorgesang." Denn in der größten evangelischen Kirche in Aachen hatten sich die Tanzkompanie Tétage und die Jugendtanzkompanie Jeunesse mit dem Jungen Chor Aachen zusammengefunden, um zwei zeitgenössische Choreografien zu A-Capella-Stücken aufzuführen.

Mehr als 200 Zuschauer und Zuhörer fanden sich dazu in der Auferstehungskirche ein, womit auch Chorleiter Fritz ter Wey nicht gerechnet hatte. "Ich bin total überrascht und freue mich sehr, dass heute so viele Menschen hierher gekommen sind!", sagte er.

Umso mehr konnte sich seinerseits auch das Publikum freuen, da es als letztes Stück des Abends eine Uraufführung geboten bekam: ein Chorstück, das Fritz ter Wey eigens für die Auferstehungskirche komponiert hatte. Betitelt ist das Stück mit "Sonos", gleich "Schall". Er habe vorher noch nie ein Konzert in der Auferstehungskirche gegeben und kannte die Akustik des Raumes nicht, erzählte ter Wey. "Als ich dann zum ersten Mal hier reingekommen bin, hat der Schall mich förmlich erschlagen", sagte der Chorleiter und Komponist. "Da habe ich beschlossen, für diese Kirche ein Stück zu komponieren! Normalerweise schreibt man Stücke für bestimmte Chöre oder Einzelpersonen, aber dieses Stück, das Sie jetzt hören, ist extra für die Auferstehungskirche."

Traditioneller Abschlussgottesdienst in St. Michael/Hagios Dimitrios

Der traditionelle ökumenische Gottesdienst der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK) in Aachen fand in der griechisch-orthodoxen Kirche St. Michael/Hagios Dimitrios statt, wo Bischof Evmenios von Lefka die Besucher willkommen hieß. Im Mittelpunkt stand der wohl bekannteste Psalm, der Psalm 23 („Der Herr ist mein Hirte“). Ihn legte Superintendent Hans-Peter Bruckhoff in seiner Predigt aus und eröffnete einen neuen Blick auf „dieses königliche Gebet“. Das habe einen Anker, der häufig übersehen würde: Der Herr (mit der Betonung auf „Herr“) ist mein Hirte“.

Komme das so in unserem Alltag vor oder beherrschten den nicht andere Dinge, wie unsere täglichen Aufgaben, die Sorge um andere oder die Bilder im Fernsehen? Seien wir nicht oft auch unser eigener Hirte/Hüter und achteten vor allem auf uns und verteidigten uns selbst? Der Psalm lade ein, den Tag anders zu beginnen, mit Gott als Hirten, der uns die Richtung zeigt. Und das auch und gerade „im finsteren Tal und im Schatten“. In dem Erleben müssten wir nichts fürchten, denn Gott sei bei uns. Doch es sei falsch, den Psalm so zu verstehen, dass er uns vor Schlimmem schütze. „Gott bewahrt uns nicht vor Leid, sondern er geleitet uns hindurch“, rückt Hans-Peter Bruckhoff die Bedeutung gerade. Die Welt sei nicht friedlich, doch Gott setze uns mit allen Menschen, auch mit unseren Feinden, an einen Tisch. Die Botschaft: „Feindschaft gibt es, aber sie hat nicht das letzte Wort.“ Nicht bei Gott.

(Texte: Andrea Thomas, Caren Braun und Juliane Siekmann / Ev. Kirchenkreis Aachen)

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