14.10.2019

"Auf die Straße gehen für die Liebe und gegen den Hass"

Nacht der offenen Kirchen gedenkt der Opfer des Anschlags in Halle - Kulturelle und spirituelle Veranstaltungen in 29 Aachener Kirchen luden zum Entdecken, Erleben und Genießen ein

Mit einem Gedenken an die Opfer des rechtsextremistischen Anschlags in Halle hat am Freitagabend die 19. Nacht der offenen Kirchen in Aachen begonnen. "Wir sind betroffen und bestürzt über den mörderischen Anschlag auf unsere Geschwister und Mitbürger jüdischen Glaubens", sagte Pfarrerin Sylvia Engels zur Eröffnung der Nacht der offenen Kirchen in der ökumischen Citykirche St. Nikolaus. Großen Applaus erhielt sie vom Publikum als sie fortfuhr: "Lasst und wachsam sein! Lasst uns jedwedem Verhalten von Antisemitismus und Fremdenhass entgegenstehen! Lasst uns die Menschenwürde und die Toleranz gegenüber anderen, unseren Rechtsstaat und die Demokratie aktiv verteidigen!" Eine auf der Kanzel stehende Kerze brannte anschließend den ganzen Abend lang und erinnerte die rund 350 Zuschauer der verschiedenen Konzerte in der durchweg voll besetzten Citykirche an die Opfer des Anschlags.

Auch das Ökumenische Nachtgebet in der griechisch-orthodoxen Kirche St. Michael / Hagios Dimitrios griff den Anschlag auf. Das Nachtgebet wird in jeder Nacht der offenen Kirchen von der Arbeitsgemeinschaft der Christlichen Kirchen (ACK) in Aachen gemeinsam gestaltet. Zu Beginn des Gottesdienstes sagte Pfarrer Hans-Peter Bruckhoff, der Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Aachen: "Es ist gut, dass wir in dieser Nacht auf die Straße gehen für unseren Glauben an den Lebendigen, in einer Woche, in der Untaten uns fassungslos machen. Aber wir Christen sollen nicht stumm und fassungslos sein! Sondern wir sollen für unsere Hoffnung auf eine mitmenschliche Gesellschaft, für die Kraft der Liebe und gegen den Hass auf die Straße gehen."

Sieben evangelische Kirchen nahmen teil

An der Nacht der offenen Kirchen nahmen in diesem Jahr sieben evangelische Kirchen teil. Die neu erbaute Genezareth-Kirche an der Vaalser Straße im Aachener Westen war zum zweiten Mal dabei. Dort begrüßten Pfarrer Mario Meyer und Pfarrerin Bettina Donath-Kreß mit vielen Mitarbeitenden und Ehrenamtlichen die Gäste und luden zu Programm mit Musik, Theater, Kunst und Gesprächen ein. "Die Nacht der offenen Kirchen passt gut zu unserem Konzept, denn wir sind ohnehin als 'offene Kirche' viermal die Woche geöffnet", sagte Pfarrerin Donath-Kreß. Im vorigen Jahr, wenige Monate nach Eröffnung des neuen Gebäudes hätten besonders viele Besucher die Gelegeneheit genutzt, bei der Nacht der offenen Kirchen die Genezareth-Kirche zu besichtigen. Doch auch in diesem Jahr konnten die Veranstalter mit der Besucherzahl zufrieden sein. Schon beim ersten Konzert der Chor-Ensembles "Tonbande" und "Feintune" hatten sich rund 80 Zuhörer im Kirchraum eingefunden.

Junge Kirche verwandelt Dreifaltigkeitskirche in einen Tanzsaal

Bereits zum vierten Mal verwandelte die Junge Kirche (JuKi) die Dreifaltigkeitskirche in einen Tanzsaal. Unter dem Motto „Schick & Tanzbar?“ und der Anleitung des Tanzlehrers Daniel Napolitano und seiner Partnerinnen Natascha und Sarah konnten sich die Besucher in verschiedenen Tanzstilen ausprobieren, zum Beispiel im Discotanz, Cha-Cha-Cha und Salsa. Und dieses Angebot wurde vielfach angenommen: „Am Anfang sind alle noch ein bisschen schüchtern, aber die Tanzfläche ist schnell voll, sobald die ersten sich trauen“, schmunzelte Pia Schneider von der Jungen Kirche. Und fügte hinzu, dass es „meistens die jüngeren sind, die den Anfang machen.“ Die Besucher waren jedoch nicht nur Gemeindeglieder aus der Jungen Kirche, sondern auch zahlreiche Gäste, die aus Neugierde oder Tanzdrang in die Kirche gekommen waren. Und weil nicht alle Besucher zu zweit kamen, formten sich auch ungleiche Tanzpaare: Als beispielsweise eine ältere Frau nach einem Tanzpartner suchte, sprang spontan ein Junge aus der JuKi ein.

Musik, Film und Imbiss in der Immanuelkirche

Fast schon traditionell ist auch das Programm in der Immanuelkirche, wo der Abend wie in den Jahren zuvor musikalisch begann und sich dann mit Filmvorführungen fortsetzte. Bereits am frühen Abend spielte der Gospelchor „Sound of Joy“ der Music Academy Aachen moderne, zeitgemäße Gospelsongs und klassische Spirituals. Und lockte mit seinem Gesang zahlreiche Gäste in die Immanuelkirche: „Wir haben genau 106 Stühle aufgestellt, aber die reichten bei weitem nicht“, sagte Gemeindepädagogin Gunhild Großmann nach dem Konzert. Für diejenigen, die das Konzert stehend bestaunen mussten, sowie natürlich auch für alle anderen Gäste gab es nach dem Auftritt des Gospelchors einen kleinen Abendimbiss mit Käse, Brot, Wein und Saft.

Im Anschluss daran konnten die Besucher „den ersten Jesus-Film der Filmgeschichte“ sehen: Der Stummfilm „La vie et passion de Jesus-Christ“ aus dem Jahre 1898 wurde von dem Saxophonensemble „Sax“ begleitet. Als zweiter Film war danach „Jesus Christ Superstar“ zu sehen, ein Film von 1973, der die letzten Tage Jesu als Musical im Hippie-Milieu darstellt.

Gebärdenchor, Marimbaphon und mehr beim offenen Musikmachen in der Auferstehungskirche

„Bring your voice!“ – unter diesem Motto stand die Nacht der offenen Kirchen in der Auferstehungskirche. Die Gäste waren eingeladen, gemeinsam zu singen und den Gottesdienstraum der Auferstehungskirche zum Klingen zu bringen. Das erste Konzert des Abends klang jedoch nicht, sah dafür aber umso eindrucksvoller aus, denn die tauben, schwerhörigen und hörenden Kinder des Gebärdenchors „Hands Up“ trugen bekannte deutsche Pop-Lieder in Gebärdensprache vor. Und ernteten dafür viel Applaus von den Zuschauern – natürlich ebenfalls in Gebärdensprache, mit ausgestreckten Armen über den Köpfen.

Klangreich ging es dann weiter: Im Wechsel sangen die Kantorei der Auferstehungskirche und die Gäste unter Anleitung von Kreiskantor Elmar Sauer. Dazwischen verzauberte Leo Bögeholz Gründer die Zuhörer mit seinem Marimbaphon, und immer wieder trugen Gemeindeglieder poetische Lesungen vor. Nach über zwei Stunden gemeinsamen Singens waren die Gäste schließlich eingeladen, sich bei Suppe, Brot und Wein zu stärken und ins Gespräch zu kommen.

Alte und neue Bands in der Friedenskirche

Musikalisch ging es auch in der Friedenskirche zu. Über den gesamten Abend spielten insgesamt fünf Bands jeweils circa einstündige Konzerte. Die Musikrichtungen waren dabei äußerst vielfältig: So machte der Gospelchor „Voices of Praise“ den Auftakt, später spielte unter anderem die Folk-Punk-Band „Rabitts On Trees“. Die Auswahl der Musiker erfolgte laut Pfarrer Olaf Popien dabei nach dem Geschmack der Organisatoren: „Wir laden einfach ein, was uns gefällt.“ Die Musik der erst vor kurzem gegründeten Rock-Pop-Band „Royal Shells“ habe er beispielsweise zum ersten Mal beim diesjährigen STAWAG Music Award gehört: „Ein Lied von ihnen hat mir besonders gut gefallen, deshalb habe ich sie gefragt, ob sie bei der Nacht der offenen Kirchen hier in der Friedenskirche spielen wollen“, erzählte Popien. Die Band sagte zu, und spielte besagtes Lied dann auch in der Friedenskirche. Andere Bands sind in der Friedenskirche wiederkehrende Gäste, allen voran die Indie-Pop-Gruppe "Hôpital", die bereits zum achten Mal bei der Nacht der offenen Kirchen dabei war. Weil die Bands nicht nur Gemeindeglieder und vorbeilaufende Besucher anlockten, sondern auch ihre eigene Fanbase mitbrachten, war die Friedenskirche den ganzen Abend über gut besucht. Durch die Nähe zur Bühne und den Verzicht auf Stühle (das Publikum machte es sich auf dem Boden bequem) entstand trotzdem eine echte „Wohnzimmer-Amosphäre“.

Pfarrer Popien beendete den Abend mit einem Segen für alle Musiker und Gäste, und gab den Anwesenden einige Worte mit auf den Weg, die ihm persönlich am Herzen lagen. Er beobachte mit großer Sorge, dass sich die Diskussionskultur in Deutschland in der letzten Zeit zum Negativen verändere: „Viele arbeiten heute mit Klischees, Vorurteilen und Verunglimpfungen, anstatt zu argumentieren“, sagte Popien und spielte dabei unter anderem auf die Umweltaktivistin Greta Thunberg an, die immer wieder aufgrund ihrer psychischen Erkrankung zum Teil hart angegriffen werde. Er ermunterte die Anwesenden, sich für sachliche Debatten einzusetzen. Und fügte nach einem kurzen Moment der Stille hinzu: „Achja, und jetzt gibt es hier auch noch was zu essen und zu trinken!“

Annakirche bei Klezmer-Konzert überfüllt

In der Annakirche lockte nicht nur eine große Schale mit Gratis-Süßigkeiten im Vorraum die Besucher an. In die schon von Anfang an sehr gut gefüllte Kirche drängten vor Beginn des Konzerts der Klezmer-Gruppe "Dance of Joy" so viele weitere Interessierte, dass die Mitarbeitenden das Schild "Kirche überfüllt" vor den Eingang stellen und den Eintritt beschränken mussten. "Dieses Klezmer-Crossover-Projekt transportiert für uns auch eine Botschaft", sagte Pfarrerin Bärbel Büssow, die den ganzen Abend über durch das Programm führte. "Seit Jahrhunderten bereichern christliche und jüdische Kultur einander, und die Klezmer-Musik hilft, die Mauern in den Köpfen zu überwinden."

(Text: Caren Braun und Stephan Klumpp / Kirchenkreis Aachen)

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