17.04.2025

RADschläge im mobilen Familienbüro 

Pilotprojekt entwickelte sich zum Erfolgsmodell - Doch die Förderung ist ausgelaufen - Wie kann es weitergehen?

Lastenrad, zwei Frauen, ein Mann
Martin Kaufmann arbeitet eng mit Asin Firouzi-Eckhardt (links) vom Kleiderbus des Hauses für Familien und Schulsozialarbeiterin Lamia Al-Homsy zusammen. Foto: Stephan Johnen

Wenn Martin Kaufmann mit seinem Lastenfahrrad vorfährt, hat er alles dabei: Laptop, Drucker, frischen Kaffee und Tee, mehrsprachiges Informationsmaterial – aber vor allem Zeit, Verständnis, Geduld und jede Menge RADschläge, pardon, Ratschläge. Mit dem mobilen Familienbüro macht er sich vom “Haus für Familien" aus auf den Weg, um in sogenannten vulnerablen Sozialräumen die Menschen zu erreichen, die bislang kaum Zugang zu Unterstützungsstrukturen haben. 

Zu den Anlaufpunkten des Anfang 2024 gestarteten Projekts gehören unter anderem Schulhöfe und Kitas in vulnerablen Sozialräumen, also beispielsweise Quartiere wie Rothe Erde und Aachen Nord, in denen überproportional viele Menschen wohnen, die eine Flucht- oder Migrationsgeschichte haben und zum Teil in schwierigen Wohnverhältnissen leben.  

Die Krux: Nach einem Jahr lief die Förderung des Ministeriums für Kultur- und Wissenschaft des Landes NRW aus, seit Anfang 2025 ist Martin Kaufmann aber noch ehrenamtlich mit dem mobilen Familienbüro unterwegs, weil er davon überzeugt ist, dass das Projekt ein wichtiger Meilenstein in der Integration und bei der Ermöglichung von gesellschaftlicher Teilhabe der Zielgruppe ist, in der Isolation, Ausgrenzung und Vereinsamung zuzunehmen drohen. Gesucht werden nun andere Wege der Finanzierung beziehungsweise Kooperations- und Sponsoringpartner, damit das mobile Familienbüro weiter auf Tour sein und das Personal für die Beratungsgespräche weiter finanziert werden kann. 

Kleiderbus als Eisbrecher

“Der Bedarf ist da. Wir haben viele multiproblembelastete Familien, die auf der einen Seite gefordert sind, eine gesellschaftliche Teilhabe zu erreichen, sich auf der anderen Seite aber mit innerfamiliären Problemen auseinandersetzen müssen, die ihren Sozialraum nur selten verlassen und von den bestehenden Hilfestrukturen kaum Kenntnis haben. Dennoch gibt es einen großen Bedarf nach Beratung, Aufklärung und Weiterbildung”, erklärt Martin Kaufmann. Neben einem zur Lebenswirklichkeit der Zielgruppe passenden Wegweiser, wo es welche Unterstützungsmöglichkeiten gibt, fehle es jedoch an Vertrauen und Vorbildern, um diese Unterstützungsstrukturen aufzusuchen und Angebote wahrzunehmen. Genau an dieser Stelle setzt das mobile Familienbüro an, weil es sozusagen mitten in das Lebensumfeld der potenziellen Klienten hineinfährt – oft zusammen mit dem “Kleiderbus” des Hauses für Familien, in dessen Windschatten auch das mobile Familienbüro stets auf Besucherinnen und Besucher hoffen durfte.  

Mundpropaganda wichtig

“Unsere erste Aufgabe war es, Sichtbarkeit zu schaffen, uns bekannt zu machen, Vertrauen zu bilden. Über die Kleiderausgabe, die wir mit unterstützt haben, sind wir oft erstmals ins Gespräch gekommen”, berichtet Martin Kaufmann. Nach dieser ersten Phase nahm das Projekt richtig Fahrt auf, zumal ersten Familien bei deren Anliegen geholfen werden konnte. Über interne Netzwerke, WhatsApp- und Facebook-Gruppen wurde innerhalb der Zielgruppe über die Arbeit berichtet – und die Zahl der Ratsuchenden stieg deutlich an. Nicht nur bei den Terminen des mobilen Familienbüros, sondern auch bei Beratungsgesprächen im “Haus für Familien” und Angeboten, die das Projektteam beispielsweise mit Schulsozialarbeiterinnen und -arbeitern vor Ort in den Einrichtungen installiert hat. Rund 250 Familien hat das Projekt bislang erreicht. “Niederschwellige Bildung ist nur möglich ist, wenn wir zu den Menschen kommen, wenn wir sie erreichen und ihr Vertrauen gewinnen”, sagt Martin Kaufmann. Hier spiele auch der Faktor Zeit eine Rolle. 

Viel auf den Weg gebracht

In den vergangenen Monaten entwickelte das Projektteam einen PEKiP-Kurs in arabischer Sprache, einen PC-Kurs, in dem Eltern Methoden erlernen, um sich zukünftig eigenständig in der digitalen Welt zurechtzufinden, ein Empowerment-Workshop für Frauen und ein Workshop-Angebot für Ehrenamtliche. “Wichtig war uns, die sozialraumorientierte Weiterbildung auszuweiten, Vernetzungen zu schaffen und die Integration der ganzen Familie zu fördern”, unterstreicht Martin Kaufmann. 
Es kam auch vor, dass Menschen, denen das Projektteam helfen konnte, nun ihrerseits die Arbeit des Teams unterstützen. So halfen Martin Kaufmann und das Team beispielsweise einer Ärztin aus Syrien bei der erfolgreichen Anerkennung der Zeugnisse und Abschlüsse. Die nun auch in Deutschland praktizierende Ärztin gibt ehrenamtlich medizinische Kurse auf Arabisch zu Themen der Frauengesundheit.  Eine Psychologin aus der Ukraine, die ebenfalls Hilfe bei der Anerkennung ihrer Abschlüsse erhielt, bietet kostenlos eine offene Sprechstunde für ukrainische Frauen an.  

Um das Projekt weiterführen zu können, fehlen rund 60.000 Euro. Martin Kaufmann: “Viele Menschen haben sich in den letzten Monaten herzlich bei uns bedankt. Weil wir ihnen zugehört haben, sie begleitet haben, weil wir ihnen aufgezeigt haben, welche Wege sie nehmen müssen. Dabei haben wir nur unsere Arbeit getan.” 

Text: Stephan Johnen

Evangelische Kirchengemeinde Aachen

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