Eine besonders reizvolle und zugleich hintergründig-existenzielle Erzählung in der Heiligen Schrift ist die vom sogenannten „Sündenfall“ im dritten Kapitel des ersten Buches Mose („Genesis“). Sie gehört zur „Urgeschichte“, also den Erzählungen, die im echten Sinn Ursprüngliches über den Menschen, sein Wesen und sein Verhältnis zu Gott, seinem Schöpfer, zu sagen haben. Sie fügt sich an die Erzählung des zweiten Kapitels. Das handelt von der Erschaffung des Gartens Eden und seiner Bewohner, also des Menschenpaares und der Tiere.
Bitte nehmen Sie sich nun eine Bibel und lesen zur Erinnerung Genesis 3.
Die Schlange ist ein besonders listiges Tier mit ganz besonderen Neigungen. Auch sie ist ein Geschöpf Gottes, Teil der Natur.
Ganz „naturgemäß“ redet sie mit der Frau, weckt Lust und Zweifel durch kleine Verdrehungen, ja Lügen: Gott hat euch angelogen; ihr werdet nicht sterben, sondern kluge Unterscheidungsfähigkeit gewinnen, Erkenntnis von Gut und Böse. So verführt das schlaue Tier zum lustvollen Ungehorsam. Der ist noch schöner in der Gemeinschaft: „Guck mal, Schatz, wie schön und wie lecker!“
Die Natur als verführerische Schlange und verlockender Baum wirkt zunächst nur auf und durch die Frau. Wieso eigentlich?
Wir erinnern uns: Gott ist im zweiten Kapitel der Genesis dargestellt als Schöpfer und Bastler: Sein erstes Werk ist der Mensch, gemacht aus „Staub von der Erde“. Dann schafft Gott die Tiere aus demselben Material, und als letztes Werk schließlich die Frau aus einer Rippe des Menschen.
Also: Der Künstler schafft als sein erstes Werk aus Staub den Menschen, als letztes, geübt durch viele andere Schöpfungswerke, die Frau aus weitaus edlerem Material, einem Teil des schon Geschaffenen. Sollte man nicht denken, das letzte Schöpfungswerk sei auch das gelungenste?
Jedenfalls ist es das kreativste: Es hört auf die Verführerstimme der Natur, macht sich frei von der Subordination, über die der Partner nicht hinauskommt, und bringt dadurch das in die Welt, was hinfort „Sünde“ genannt wird. Die Frau begründet so die Existenz des Menschen in seiner Beziehung zu Gott neu – und sehr viel schwieriger.
Gott geht noch ganz menschennah im Garten spazieren, sucht und entdeckt Adam und die anderen Sünder. Mann und Frau versuchen sich hilflos durch Verweis auf Verführung durch andere zu entschuldigen – vergeblich.
Gott richtet über sie, aber gnädig: Er verfügt Einschränkungen, aber doch nicht die ursprünglich angedrohte endgültige, nicht den sofortigen Tod. In umgekehrter Reihenfolge zieht er zur Verantwortung:
Aber: Das Leben, das gottgeschaffene, ist gesichert, wenn auch eingeschränkt und begrenzt. Adam, der Mensch, gibt seiner Gefährtin den Ehrennamen Eva, Mutter der Lebendigen.
Gott beendet seine Maßnahmen zweifach: Zum einen hilft er gegen die neu erfahrene Scham und gibt den Nackten Kleidung. Zum anderen verweist er – auch um den Tod unabänderlich zu machen – das Menschenpaar aus dem Garten in die Welt, damit es die Erde bebaue wie bis-her den Garten.
Zwei Gewissheiten bleiben neben den verfügten Beschwernisen: das Leben für die Erde und die Endgültigkeit des Todes.
Zwei Erkenntnisse gewinnen wir aus diesem Kapitel der Heiligen Schrift:
Hans-Jürgen Sünner
(Auszug aus Gemeindebrief Nr. 215, 5-6/2021)
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